Vier Salzburger Maturanten haben sich als Freiwillige in einem Flüchtlingsquartier für Ukrainer*innen engagiert und dort ein eigenes Sozialprojekt initiiert: Sie wollen geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in Salzburger Sportvereine integrieren und ihnen so Halt und Perspektive geben.
Wir treffen die Schüler im Grundversorgungsquartier für ukrainische Flüchtlinge in Wals-Siezenheim. Im Lagerraum zwischen Kisten und Krimskrams haben sie ihr provisorisches Büro aufgebaut. Dort ist eine gemütliche Couch und ihre Laptops stehen auf dem Schreibtisch.
„Wir wollten etwas Besonderes machen und etwas bewirken“, erzählt der Schüler David Steinbauer ambitioniert und die Begeisterung ist ihm ins Gesicht geschrieben. Mit diesem jugendlichen Tatendrang haben er und seine drei Freunde Yannick Raffelsberger, Vincent Pirouzi und Leander Rosenkranz sich an Agnes Schmatzberger vom Diakoniewerk gewandt. Sie war es, die die vier aufgeschlossenen Schüler über die Initiative „Sprachtraining und Integrationshilfe“ des Diakoniewerks an das Grundversorgungsquartier des Roten Kreuzes für ukrainische Geflüchtete in Wals-Siezenheim vermittelt hat. „Wir haben dort eine ausgesprochen gute Kooperation mit dem Roten Kreuz. Das freiwillige Engagement der Schüler wurde dort mit Offenheit empfangen und ihnen wurde Freiraum für ihre eigenen Ideen gegeben“, erzählt Agnes Schmatzberger.
„Wir wissen wie wichtig Gemeinschaft und Bewegung für Kinder und Jugendliche sind“
Im Flüchtlingsquartier haben die vier Jungen drei Wochen lang fleißig mitangepackt, aber vor allem an ihrem eigenen Sozialprojekt gearbeitet: Die vier Freunde wollen ukrainische Kinder und Jugendliche mit Salzburger Sportvereinen in Kontakt bringen. „Wir waren selbst in Sportvereinen aktiv und wissen, wie wichtig Gemeinschaft und Bewegung für Kinder und Jugendliche sind“, erzählen die Schüler.
Dafür haben sie eine Liste mit Salzburger Sportvereinen erstellt und alle durchtelefoniert, um zu ermitteln, in welchen Sportvereinen ukrainische Kinder und Jugendliche aktiv werden könnten. Die große Hilfsbereitschaft hat sie überrascht. „Die Motivation der Salzburger Sportvereine den Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine zu helfen ist beeindruckend. Da herrscht so ein riesiger Zusammenhalt“, zeigt sich der Schüler Yannick Raffelsberger sichtlich gerührt. „Die Vereine wollen nun etwas Konkretes wissen. Sie brauchen die Anzahl und das Alter der Kinder und Jugendlichen, um ein Angebot machen zu können.“
Deshalb haben die vier jungen Männer am 22. September 2022 einen Infoabend im Quartier organisiert. Hier haben sie ihr Projekt vorgestellt und den ukrainischen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten präsentiert. „Besonders Fußball oder Kampfsportarten sind besonders gefragt, da viele in diesen Sportarten bereits in der Heimat aktiv waren“, berichten die Schüler von ihren Erkenntnissen. Aber auch Schwimmen oder bei den Mädchen Ballett stoßen auf reges Interesse.
„Die Kinder sollen mit anderen Kindern in Kontakt kommen“
Im Rotkreuz-Quartier in Wals-Siezenheim, in dem vor allem Familien untergebracht sind, leben zirka hundert Kinder und Jugendliche. Durch die abgeschiedene Lage im Gewerbegebiet fehlen die Freiflächen vor Ort und somit halten sich die Kinder und Jugendlichen hauptsächlich drinnen auf.
Die Quartiersleiter des Roten Kreuzes sind sehr engagiert, Indoor-Spielmöglichkeiten und Angebote für die Kinder und Jugendlichen zu schaffen. Trotzdem sind es vor allem Sport- und Freizeitmöglichkeiten, die fehlen und die besonders wichtig wären.
„Wir beobachten, dass in den Kindern sehr viel aufgestaute Energie ist. Die Kinder müssen raus. Sie sollen mit anderen Kindern in Kontakt kommen“, meint Géza Schulthess, der Leiter des Quartiers. Da die meisten Kinder und Jugendlichen in einer eigens für sie eingerichteten Schule unterrichtet werden, haben sie kaum Kontakt zu anderen Gleichaltrigen in Österreich.
„Der Krieg ist für die Kinder und Jugendlichen immer präsent“
Verena Mandl vom Roten Kreuz hat sich vor Ort auf Kinder- und Familienangelegenheiten spezialisiert und man merkt sofort, dass sie ihrer Arbeit mit ganzem Herzen nachgeht. Sie führt uns durch die bunt bemalten Gänge des ehemaligen Austria Trend Hotels in Wals-Siezenheim, das nun als Flüchtlingsquartier dient. Wir hören die Stimmen der spielenden Kinder durch die Gänge hallen. Das ganze Haus ist erfüllt mit Leben.
„Wir wollen eine Wohlfühlatmosphäre schaffen. Die ukrainischen Kinder und Jugendlichen haben die Wände nach ihren Vorstellungen mitgestaltet“, erzählt Verena Mandl begeistert, während wir ihr an Bildern von Arielle die Meerjungfrau, dem König der Löwen oder Spongebob vorbei in den Kinderraum folgen. Dort spielen einige ukrainische Kinder und schauen neugierig zu uns, während wir uns für unser Gespräch zum Kinderspieltisch setzen.
„Der Krieg ist für sie auch hier immer präsent. Sie bekommen viel mit von den Emotionen und der Verzweiflung der Erwachsenen über das, was in der Ukraine passiert. Das hinterlässt Spuren in der Gefühlswelt der Kinder und das artikulieren sie“, erzählt Verena Mandl von der speziellen und belastenden Situation.
Im Erdgeschoss des Quartiers hat sie mit den Bewohner*innen eine Karte der Ukraine an die Wand gemalt. Die Kinder und Jugendlichen haben mit einem Handabdruck ihren Herkunftsort markiert. Die Abdrücke der kleinen Kinderhände häufen sich um die stark umkämpften Kriegsgebiete im Süden und Osten der Ukraine.
„Bei Aktivitäten an der frischen Luft können sie einfach Kindsein und sich austoben“
Ein ukrainisches Mädchen kommt zu uns an den Tisch und setzt sich auf Verenas Mandls Schoß und schmiegt sich an sie, während diese mit strahlenden Augen von einem Ausflug zum Spielplatz erzählt. Der nächstgelegene Spielplatz liegt einen zwanzig Minuten langen Fußmarsch der Straße entlang entfernt. Es war schönes Wetter und sie haben Eis mitgenommen und die Kinder haben ausgelassen und unbeschwert gespielt. Bei solchen Unternehmungen an der frischen Luft, beobachtet sie eine starke Veränderung bei den Kindern: „Sie sind wie ausgewechselt. Da können sie einfach Kindsein und sich austoben. Sie lachen und haben Spaß und sie sind nachher viel ausgeglichener.“
Auch ein Wandertag Anfang September, der von den Naturfreunden organisiert wurde, wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. „Die Ukrainer sind danach zu mir gekommen und haben gesagt, das fühlt sich an wie Urlaub“, beschreibt Verena Mandl wie besonders so ein Tag für die Kriegsflüchtlinge ist.
Bei der Führung durchs Flüchtlingsquartier kommen wir an einer Tür vorbei, auf der Winnie the Pooh mit einem Honigtopf abgebildet ist. Sofort stürmen freudig einige ukrainische Kinder auf Verena Mandl zu. „Hier ist das Süßigkeiten-Lager“, meint Verena Mandl augenzwinkernd und drückt jedem der Kinder eine kleine Nachspeise in die Hand, während sich die Kinder herzlich bei ihr bedanken.
„Hier spielen Menschen miteinander, die sonst kein Wort miteinander wechseln“
Im ersten Stock des Flüchtlingsquartiers steht ein Tischtennistisch. „Hier spielen Menschen miteinander, die sonst kein Wort miteinander wechseln“, erzählt Verena Mandl und deutet auf einen alten Mann und einen Jungen, die gerade den Ball auf der Tischtennisplatte hin und herspringen lassen. Der Tischtennistisch verdeutlicht die verbindende Kraft, die sportliche Aktivität hat. Auch die vier Maturanten der Rudolf Steiner Schule haben hier das eine oder andere Match mit ukrainischen Kindern und Jugendlichen ausgefochten und konnten so, trotz der Sprachbarriere, einen guten Kontakt mit ihnen aufbauen.
Für Verena Mandl steht die Wichtigkeit von Sport- und Bewegungsangeboten für die Kinder und Jugendlichen außer Frage. Die räumliche Situation im Quartier lässt dies jedoch nur in begrenztem Ausmaß zu. Die Rotkreuz-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind jedoch sehr offen für Initiativen von außen: „Wir freuen uns immer über Menschen und Vereine, die mit ihren Ideen zu uns kommen und mit den Kindern und Jugendlichen Aktivitäten machen“.
„Wir müssen weitere Menschen von der Idee begeistern“
„Der Kontakt mit den Sportvereinen ist der erste Schritt. Damit das Projekt erfolgreich weitergeführt wird, müssen wir weitere Menschen von der Idee begeistern und sind auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen, die die Kinder und Jugendlichen zu den Sportstätten begleiten“, meint Agnes Schmatzberger vom Diakoniewerk, die das Praktikum der vier Jungen als Freiwilligenkoordinatorin betreut. Aufgrund der psychischen Belastung und den traumatisierenden Erlebnissen fehlt es vielen ukrainischen Müttern an Möglichkeiten die Freizeit ihrer Kinder zu organisieren oder sie zu Sportkursen zu bringen.
Um freiwillige Begleiter*innen für die Freizeitaktivitäten der Kinder und Jugendlichen zu finden, startet das Diakoniewerk über die Börse des Freiwilligenzentrum Salzburg einen Aufruf. Interessierte Vereine können sich ans Freiwilligenzentrum Salzburg wenden und werden kompetent an die richtige Stelle weitervermittelt.
Bald werden die vier Schüler wieder die Schulbank drücken und sich auf die Matura vorbereiten. Für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen wünschen sie sich, dass sie bald in den Salzburger Sportvereinen aktiv sind. Von ihrem freiwilligen Engagement nehmen sie wertvolle Eindrücke und Erfahrungen mit: „Wir freuen uns darauf unser Projekt in der Schule zu präsentieren und zu zeigen, dass wir das coolste Praktikum von allen hatten.“
Fotonachweis: Josef Blaschko
Sie möchten sich als Freiwillige*r in der Freizeitvermittlung für ukrainische Kinder und Jugendliche engagieren?
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freiwilligenarbeit-ukraine@diakoniewerk.at
Rufen Sie an unter:
0662 6385 51107
Ansprechpartnerin:
Mariia Novokhatnia
Hier finden Sie alle Freiwilligenstellen zur Ukraine-Hilfe.